AUTOR. Im kultur- und editionswissenschaftlichen Kontext lässt sich zwischen einer produktionsbezogenen und einer rezeptionsbezogenen Verwendung des A.-Begriffs unterscheiden. In produktionsbezogener Verwendung ist mit A. synonym zu Verfasser, Urheber oder Produzent ursächlich die individuelle Herstellungsinstanz von Überliefertem bezeichnet. Der produktionsbezogene A.-Begriff bezieht sich auf prinzipiell beobachtbare Aspekte der biographischen, psychologischen, historischen und gesellschaftlichen (juristischen, ökonomischen) Identität der Produktionsinstanz. In rezeptionsbezogener Verwendung beschreibt A. den überindividuellen, historisch variablen Zusammenhang von gesellschaftlichen, ästhetischen und epistemologischen Merkmalen, Funktionen und Normen, die, innerhalb eines bestimmten Begriffsrahmens, aus den Produkten eines A.s und ihrem Kontext abgeleitet werden. In beiden Verwendungen bildet der A.-Begriff einen zentralen theoretisch-methodischen Bezugsrahmen zur Legitimation der interpretatorischen Praxis; im editionswissenschaftlichen Kontext kommt der A.-Begriff neben der Kommentierung (Kommentar) v.a. bei der Klassifikation und Selektion des Überlieferungsmaterials (Zuschreibung) sowie bei der Textkonstitution zur Anwendung.

Produktionsbezogener A.-Begriff

In den Neuphilologien bildete der produktionsbezogene Begriff des A.s bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts einen zentralen methodischen Bezugspunkt des editorischen Vorgehens, insofern der "Wille des Autors" (Seiffert 1969, Górski 1971) die editorische Bewertung, Auswahl und Darstellung des überlieferten Textmaterials legitimierte und leitete (Intention)). So hat der Begriff des A.willens z.B. in der Goethe-Philologie als editorisches Legitimationsprinzip von Ausgaben erster oder früher Hand fungiert (Ausgabe früher Hand; Ausgabe letzter Hand) sowie, im Rekurs auf die editorische "Fähigkeit nachschaffenden Verständnisses" (Witkowski 1924), der 'Einfühlung' (Fränkel 1954, 19f. und 22f.) oder des "dichterische[n] Feingefühl[s]" (Beißner 1958, 12) des Herausgebers (Divination), Eingriffe in handschriftlich überlieferte Texte oder vom A. veranstaltete Drucke legitimiert (Neugermanistische Editionswissenschaft). Explizite Anspruch auf A.schaft erheben im Bereich der Musikwissenschaft auch die Editoren der überkommenen Interpretationsausgaben des 19. Jahrhunderts (Musikwissenschaftliche Editorik. Auch im Bereich des angelsächsischen Copy-Text-Editing bleibt das methodische Konzept der Autorität wesentlich am produktionsbezogenen A.-Begriff orientiert, insofern es auf die Rekonstruktion des vom A. intendierten Textes zielt: "obtaining a single text which represents, as closely as available evidence will allow, what the author wished his text to be" (Tanselle 1975, 331). Dies gilt auch dann, wenn der Herausgeber sich dabei wie im Fall der Shakespeare-Philologie und der für sie kennzeichnenden Überlieferungslage nicht auf das Autororiginal berufen kann. Auch die Vertreter der Altphilologie und Mittelalterphilologie orientieren sich ungeachtet des weitgehenden Fehlens autographer Überlieferungszeugnisse bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus am methodischen Ideal einer Annäherung ans Original (Bein 1995, 16ff.). Ähnliches gilt bei prinzipiell anderer Überlieferungslage auch für die musikwissenschaftliche Editorik.

Angesichts des zentralen methodischen und theoretischen Stellenwerts des produktionsbezogenen A.-Begriffs war dessen Verwendung insbesondere in der neugermanistischen Editorik von intensiver Reflexion auf die methodischen Probleme des Konzepts begleitet. Parallel zu den Theoriedebatten von New Criticism, Strukturalismus und Poststrukturalismus stand dabei insbesondere das mit dem produktionsbezogenen A.-Begriff eng verknüpfte Konzept der Intention in Frage.

Zentrale Argumente gegen den methodischen Rekurs auf den Intentionsbegriff verweisen seitens der allgemeinen Literaturtheorie darauf, dass das vom A. Intendierte sich als psychischer Zustand dem objektivierbaren Wissenszugriff weitgehend entzieht und sich zu großen Teilen nur aus werkexternen Zeugnissen (Eigenkommentaren oder Entstehungsdokumenten) rekonstruieren lässt. Ferner sei das Bedeutungspotenzial eines Werkes prinzipiell nicht auf die vom A. intendierte Bedeutung zu reduzieren und könne dieser sogar widersprechen (Beardsley, Wimsatt 1946). Vor diesem Hintergrund ist das von der jüngeren neugermanistischen Editionswissenschaft entwickelte Klassifikationskriterium der "Willensentsscheidung" des A.s verstanden als "Ermächtigung, die der Autor einem Text gibt, der von ihm verfaßte und damit der von ihm gewollte Text zu sein" (Scheibe 1990, 58) bereits als methodisch reflektierte Minimaldefinition zu verstehen. Der als Kriterium der Autorisation von Textzeugen verwendete Intentionsbegriff differenziert nicht nur den überlieferungsgeschichtlichen Aspekt der Verfasserschaft, insofern er prinzipiell auch "die Veranlassung anderer Personen, an der Herstellung einer Textfassung mitzuwirken" (Scheibe 1991, 26) umfasst, sondern erstreckt sich auch nicht mehr auf die vom A. intendiere Textbedeutung. Der Wille des A.s ist hier eine "Funktion innerhalb der Textgenese" (Nutt-Kofoth 2000, 176) und dient der Klassifikation der Textzeugen, er ist hingegen kein übergeordnetes Leitprinzip der Textauswahl und Textkonstitution.

Im Zuge eines zunehmenden Interesses an der genealogischen und genetischen Dimension des Werkes wurde in der jüngeren Editionstheorie auch eine gänzliche Abkehr vom methodischen Legitimationskriterium der Autorintention vorgeschlagen. Das Ziel einer möglichst umfassenden Rekonstruktion und Dokumentation der Textgenese lässt den Intentionsbegriff insofern problematisch erscheinen, als es auch vom A. nicht 'gewollte', nicht autorisierte Textzeugen (Autorisation) in den Editionsvorgang miteinbezieht. Im Rahmen eines modifizierten Intentionsbegriffs ist dieser Umstand durch dessen Dynamisierung zu fassen, derzufolge für den A. eine Textfassung so lange Geltung hat, bis er eine neue Fassung erstellt (Scheibe 1982). Infolgedessen impliziert das Kriterium der "Willensentscheidung" des A.s in der jüngeren Editionswissenschaft auch die prinzipielle Gleichwertigkeit, Gleichberechtigung und Eigenständigkeit der in diesem Sinne intendierten "historischen Textfassungen" (Fassung; Scheibe 1991, 29 ). Die in diesem Zusammenhang ebenfalls vorgeschlagene Ablösung des Intentionsbegriffs durch den Begriff der Authentizität verstanden als Merkmal von Texten, die "einem einzigen Sprachbenutzer, nämlich dem Autor [...] zugeschrieben werden" können (Hurlebusch 1971, 135) oder als Merkmal der "'eigentlichen', [...] 'wahren' Ursprungs-Texte, die allein vom Autor kommen" (Oellers 1998, 44) zielt dagegen darauf, den Geltungsanspruch überlieferter Textzeugen nicht mehr im Rekurs auf den A.willen zu objektivieren, sondern durch die Gegebenheiten der Sprachstruktur und der Textentstehung. Ungeachtet der unterschiedlichen theoretischen Legitimation bleibt der übergeordnete Bezugsrahmen auch im Falle des Authentizitätsbegriffs ein produktionsbezogenes A.-Modell, insofern er wie der kritisch begrenzte Intentionsbegriff auf weitestgehende Annäherung an das vom A. ursprünglich Verfasste zielt.

Im Bereich der Mediävistik wurde der produktionsbezogene A.-Begriff als methodischer und theoretischer Bezugspunkt der Edition insbesondere von den Vertretern der New Philology nachhaltig problematisiert (Altgermanistische Editionswissenschaft). In Anlehnung an Theorieangebote des Poststrukturalismus (vgl. z.B. Barthes 2000) wird die durch das Wechselspiel von schriftlicher Fixierung und mündlicher Performanz geprägte Überlieferungssituation des Mittelalters (Vokalität) dabei als intertextueller durch die Varianz (mouvance) der Textzeugen geprägter Verweisungszusammenhang begriffen, dessen semantische Eigendynamik, durch den methodischen Bezugsrahmen eines der Überlieferung vor- und übergeordneten A.-Individuums in unangemessener Weise begrenzt werde (Cramer 1986, Cerquiglini 1989, Nichols 1990, vgl. Greetham 1999, 172). Zudem wurden die historischen Bedingungen der mittelalterlichen Überlieferungspraxis und die für sie kennzeichnende Pluralität von A.instanzen und -funktionen (Schreiber) gegen die Annahme einer einheitlichen A.instanz angeführt (Minnis 1988, 94f., Bumke 1997, 110). Die Schärfe dieser Position ist aus dem Versuch ihrer Vertreter zu erklären, sich von einer bis ins 20. Jahrhundert reichenden Deutungstradition abzugrenzen, welche ihr literaturgeschichtliches und editorisches Interesse am historisch-empirischen A., z.B. im Rahmen der Echtheitskritik, durch eine den historischen Produktionsbedingugen des Mittelalters letztlich unangemessene Genie- und Autonomieästhetik des 18. Jahrhunderts legitimierte. Der Auffassung einer 'a.losen' Überlieferungspraxis im Mittelalter wurde entgegengehalten, dass sie, außer in Sonderfällen wie der für manche Texttypen kennzeichnenden kollektiven oder anonymen A.schaft (Märchen, Sagen, Mythen, Zauber- und Segenssprüche) (Anonyma), dem Selbstverständnis der mittelalterlichen A.en, Sammler, Schreiber/Redaktoren widerspricht, insofern etwa die auktorialen Selbststilisierungen wie auch die Fremd- und Eigensignaturen in den Überlieferungszeugen auf den historischen Geltungsanspruch eines produktionsbezogenen A.-Begriffs verweisen (Wachinger 1991, Stackmann 1993, Coxon 2001).

Im Bereich der musikwissenschaftlichen Editorik wird der produktionsbezogene A.-Begriff darüber hinaus aufgrund der Unterscheidung zwischen Produktions- und Aufführungsinstanz relevant. Vergleichbares gilt für die Edition von aufführungsorientierten Textzeugen im Bereich der Dramenedition, insofern hier nicht vom A. stammende Aufführungshinweise berücksichtigt werden können (De Grazia 1993).

Neues Gewicht erhalten produktionsbezogene Aspekte von A.schaft im Zuge einer zunehmenden Aufwertung von Textgenese und Schreibprozess zu Erkenntnisgegenständen sui generis. Die bereits für die Editionswissenschaft des frühen 20. Jahrhunderts kennzeichnende Auffassung, derzufolge die Entstehungszeugnisse die "Entwicklungsstadien der künstlerischen Persönlichkeit" reflektieren (Backmann 1924, 637), wird in zeitgenössischen Untersuchungen teils auf der Basis kreativitätstheoretischer und psycholinguistischer Ansätze weitergeführt. Das Erkenntnisinteresse am empirisch-historischen A. wird hierbei durch die Frage nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten und Typen des Schreibens und der kreativen Produktion differenziert (Bellemin-Noël 1979; Schmidt-Radefeldt 1987; Contat 1988; Contat 1988; Marmande 1991; Hurlebusch 1998; Zwerschina 2000).

Rezeptionsbezogener A.-Begriff

Im allgemeinen editionswissenschaftlichen Kontext kommt der rezeptionsbezogene A.-Begriff als Stilkategorie zum Tragen und dient hier alternativ zu dem am produktionsbezogenen A.-Begriff orientierten Prinzip der äußeren Kritik als Bezugspunkt insbesondere bei Zuschreibungsproblemen (Zuschreibung) von Werken, deren A.schaft nicht gesichert ist. Auch im Zusammenhang mit der Bestimmung von Kriterien zur Klassifikation und Selektion überlieferter Textzeugen finden sich in der Editionswissenschaft Ansätze zu rezeptionsbezogenen Verwendungsweisen des A.-Begriffs. Das Kriterium der geschichtlichen "Faktizität der Texte" (Kraft 1973, 1982, 5) oder ihrer "historisch-ästhetischen Authentizität" (Kraft 1990, 30) begründet sich aus der (literatur-)geschichtlichen Wirkung des Überlieferten, womit A.schaft zumindest implizit als Effekt einer rezeptionsgeschichtlich bestimmten Konkretisation in den Blick gerät. Ähnlich wurde auch das Interesse der sozialwissenschaftlichen Editorik an der "Faktizität der vorhandenen Texte und nicht an hypostasierten Autorintentionen" (Fechner 1993, 85) geäußert: "Nicht mehr Autor, Werk und Text bilden den primären Grund für die Edition, sondern der Diskurs im Fache, der durch die Rezeption bestimmter Texte die scientific community befruchten soll" (Fechner 1993, 90). Gleichwohl garantiert der A. auch hier "Authentizität und namentliche Legitimation" des edierten Textes (Fechner 1993, 86). Ebenso finden sich in den Mittelalterphilologien in jüngster Zeit Ansätze zu einer rezeptionsbezogenen Verwendung des A.-Begriffs, die mit einem entscheidenden Paradigmenwechsel in der editorischen Praxis einhergehen. In dem Maße, als die Überlieferungszeugen hier in ihrer Funktion der geschichtlich variablen A.konkretisation (Hausmann 1999) sichtbar werden, wird auch die Erstellung eines möglichst a.nahen Texts mit eklektizistischen Verfahren inzwischen zunehmend durch die Dokumentation der überlieferten Textvarianz abgelöst (Altgermanistische Editionswissenschaft). Vergleichbare Ansätze zu einer rezeptionsbezogenen Bestimmung des A.-Begriffs finden sich im Bereich der angloamerikanischen social theory of editing, welche die Dynamik der allgemeinen rezeptionsgeschichtlichen Konkretisation von A.schaft (Nehamas 1987) im Blick auf mediengeschichtliche und publikationstechnische Aspekte erweitert und A.schaft als Rezeptionseffekt innerhalb von gesellschaftlich und historisch bestimmten Produktionskontexten ausdifferenziert. Vergleichbar der mediävistischen Material Philology (Altgermanistische Editionswissenschaft) werden hierbei die verschiedenen an der literarischen Produktion Beteiligten (z.B. Literaturagenten, Lektoren, Setzer, Hersteller, Zensoren) in ihrem Einfluss auf Werkbedeutung und -gestalt als neben dem A. gleichberechtigte Produktionsinstanzen begriffen (McGann 1991, McKenzie 1981). Entscheidende Konsequenzen für die angelsächsische Editionspraxis haben sich daraus bislang jedoch nicht ergeben (McGann 1983, 56; MacLean 1987, Marotti 1993). Allerdings wurde in diesem Zusammenhang wiederholt darauf verwiesen, dass auf einem rezeptionsbezogenen A.-Begriff basierende Editionskonzepte sich angemessen insbesondere im Rahmen elektronischer Digitalmedien (Elektronische Edition) umsetzen ließen (McGann 1990). Der zentralen, aber umstrittenen These zufolge verliere die produktionsbezogene Vorstellung vom A. als eigenständiger und souveräner Produzent insbesondere unter den Strukturbedingungen des Hypertexts und der für ihn kennzeichnenden alinearen Vernetzungsprinzipien ihren Geltungsanspruch (Landow 1992; vgl. zur kritischen Relativierung dieser These z.B. Winko 1999). Statt dessen gerate der A. hier auf exemplarische Weise als Effekt der vorgeordneten Strukturen sprachlicher (insbesondere intertextueller) und kultureller Sinnstiftung in den Blick. Konsens scheint darüber zu bestehen, dass die komplexeren Präsentations- und Organisationsmöglichkeiten elektronischer Edition den Gestaltungsfreiraum des Herausgebers in der Weise erhöht, dass dieser an bestimmten Funktionen von A.schaft partizipiert, die traditionellerweise allein dem ursprünglichen Verfasser zugeschrieben wurden.

In der literaturwissenschaftlich-hermeneutischen Beschäftigung mit den Entstehungs- und Überlieferungsprozessen von Texten lässt sich eine (a) allgemein methodische und eine (b) im engeren Sinne gegenstandskonstitutive Verwendungsweise des rezeptionsbezogenen A.-Begriffs unterscheiden.

(a) In methodischer Verwendung dient der rezeptionsbezogene A.-Begriff als Gegenmodell zum problematischen Konzept der Intention. Der A. wurde hierbei in Anlehnung an Theorievorgaben des Strukturalismus als Rezeptionseffekt der Textstruktur objektiviert: "Das 'Ich', das "Subjekt, das zwar auf verschiedenste Weise, aber in jeder Kunst und in jedem Werk irgendwie erscheint, ist weder mit irgendeinem konkreten leibseelischen Individuum identisch noch mit dem des Autors. Dies ist der Punkt, auf den sich der ganze künstlerische Aufbau des Werks konzentriert und zu dem hin dieser Aufbau angeordnet ist, auf den jedoch eine beliebige Persönlichkeit projiziert werden kann, die eines Autors wie die eines Aufnehmenden (das 'Durchleben' eines Werks durch den Aufnehmenden)" (Mukarovský 1967, 16; vgl. Cervenka 1971). Übertragen auf die diachrone Dimension der Textentstehung und unter der Prämisse einer prinzipiellen Gleichberechtigung der für sie kennzeichnenden Textstufen und Fassungen wurde der über die Gegebenheiten der Werkstruktur ableitbare A.-Begriff jedoch zunehmend problematisch. In dem Maße, wie in Anlehnung an die poststrukturalistische Literaturtheorie und ihre zentrale These einer irreduziblen Vieldeutigkeit und Offenheit ästhetischer Bedeutungskonstitution (Kristeva 1972, Barthes 1974) die "stete Veränderbarkeit" der Texte auch die "eigentliche poetische Qualität" des Werkes begründet (vgl. Martens 1991, 135f.; vgl. Hay 1985, Grésillon 1994, 148) büßt der A. nicht nur seine Sonderstellung als Produzent und intentionales Zentrum ein; auch die Rekonstruktion einer das 'abstrakte Subjekt' des Werkes repräsentierenden Struktureinheit erscheint angesichts der postulierten Eigendynamik und Unbestimmtheit sprachlicher Sinnstiftung (écriture) nicht mehr möglich. Der A. wird zum Schnittpunkt eines wesentlich intertextuell strukturierten Zeichenzusammenhangs.

Problematisch erscheint dabei insbesondere die Übertragung text- und bedeutungstheoretischer Begriffe auf die Ebene des materiellen Entstehungs- und Überlieferungsprozesses, insofern etwa das écriture-theoretische Postulat einer auf Dauer gestellten Bedeutungstransformation auf der materiellen Ebene des Schreib- und Überlieferungsprozesses deutlichen Beschränkungen unterliegt. Als entstehungs- und überlieferungsbedingte Varianz erscheint die generative Eigendynamik der Bedeutungskonstitution in dem Maße reguliert, als sie bereits eine selektive und bestimmte Aktualisierung der im Text angelegten Bedeutungsmöglichkeiten darstellt. Insofern die Varianz der Textstufen und Textfassungen in ihrem Nacheinander auf den Veränderungswillen des A.s/Schreibers verweisen, der in vielen Fällen auf Vollendung und Abschluss der Textentstehung bzw. auf Bedeutungsstabilisierung des Verschriftlichten zielt, bleibt offen, inwieweit solche Untersuchungsansätze auf die Grundannnahme eines auktorialen Gestaltungswillens oder einer Kommunikationsabsicht verzichten können bzw. diese über die Strukturanalyse des Textes und die historische Rekonstruktion relevanter kultureller Bezugssysteme objektivieren können. In dieser Problemlage finden sich Anschlussmöglichkeiten an die aktuelle Methodendiskussion der allgemeinen Literaturtheorie, in der sich ein zunehmendes Interesse an Möglichkeiten einer methodisch geregelten Wiedereinführung des Intentionsbegriffs beobachten lässt (Grésillon 1994).

(b) In gegenstandskonstitutiver Verwendungsweise wird der rezeptionsbezogene A.-Begriff bei der Frage relevant, inwieweit sich in der überlieferungs- und entstehungsbedingten Varianz von Texten Reflexe oder ästhetische Reaktionen auf die Vorgaben geschichtlich bestimmter A.modelle erkennen lassen. So lassen sich die Eingriffe der Schreiber/Redaktoren im Überlieferungszusammenhang mittelalterlicher Textzeugen erklären als Auseinandersetzung mit dem (literar)historisch und gesellschaftlich bestimmten Konstrukt jenes A.s, dem die überlieferten Texte zugeschrieben werden (Hausmann 1999). Auch im Bereich der Neuphilologie wurde versucht, die entstehungsgeschichtlich bedingte Varianz als Auseinandersetzung mit historisch vorgegebenen A.konstrukten und damit als Reflexionsmedium der historischen Bedingungen ästhetischer Produktion zu erklären (Lüdeke 2002). Überlieferungs- und entstehungsgeschichtliche Varianz der Texte wird damit zum Protokoll der für die historisch variable Konstruktion von A.schaft kennzeichnenden Spannungsverhältnisse. Obwohl diese Interpretationsansätze auf der Gegenstandsebene auf einen rezeptionsbezogenen A.-Begriff rekurrieren, können auch sie methodisch nicht völlig auf die Grundannnahme eines auktorialen Gestaltungswillens verzichten, woraus sich auch hier das Problem einer methodisch geregelten Neubestimmung des Intentionsbegriffs ergibt.

Im rezeptionsbezogenen Verwendungszusammenhang des A.-Begriffs wird deutlich, dass der editorischen Bewertung, Auswahl, und Präsentation von Überlieferungszeugen nicht nur bestimmte A.modelle zugrunde liegen, sondern diese von der editorischen Praxis auch wesentlich miterzeugt werden. Aus der historischen Entwicklung, der die Editorik als Wissensdisziplin unterliegt, ergibt sich die geschichtliche Variabilität dieser A.modelle. Auf dieser Ebene bieten sich Anschlussmöglichkeiten an die aktuellen Theorie- und Methodendiskussionen der Kulturwissenschaften, die sich in Anlehnung an Michel Foucault (Foucault 1988) auf die historisch variablen Merkmale, Funktionen und Normen konzentriert, welche der Verwendung des A.-Begriffs zugrunde liegen und seinen Einsatz motivieren (Scholz 1999). Dabei können editionsgeschichtliche Fragestellungen ein zentrales Untersuchungsfeld des kulturwissenschaftlich geleiteten Interesses an den historischen Apriori von A.schaft bilden und deren Rekonstruktion maßgeblich ergänzen oder modifizieren (Weigel 1989; De Grazia 1991; Espagne 1998, Lüdeke 2002). Weitere Hinweise ergeben sich aus Ansätzen der französischen Forschungsrichtung der histoire du livre, welche u.a. die ökonomischen Bedingungen der Buchproduktion und -distribution als Grundlage historisch bestimmter A.modelle untersucht (Chartier 1990).

[RL]

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[Wachinger 1991] Wachinger, Burghart. 1991. Autorschaft und Überlieferung. In: Autorentypen. Hrsg. von Walter Haug und Burghart Wachinger. Tübingen, 1-28.arrow back
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[Winko 1999] Winko, Simone. 1999. Lost in hypertext? Autorkozepte und neue Medien. In: Rückkehr des Autors: zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Hrsg. von Fotis Jannidis et al. Tübingen, 511-533arrow back
[Witkowski 1924] Witkowski, Georg. 1924. Textkritik und Editionstechnik neuerer Schriftwerke. Ein methodologischer Versuch. Leipzig.arrow back
[Zwerschina 2000] Zwerschina, Hermann. 2000. Variantenverzeichnung. Arbeitsweise des Autors und Darstellung der Textgenese. In: Text und Edition. Positionen und Perspektiven. Hrsg. von Rüdiger Nutt-Kofoth, Bodo Plachta, H.T.M. van Vliet, Hermann Zwerschina. Berlin, 203-229.arrow back

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